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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

F O T O G R A F

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 CAFE BABEL

Abduls Schatten auf dem Asphalt

Bild: ©2007 PROKINO Filmverleih GmbH

Filmkritik "Persepolis": Iran schwarzweiß

Persepolis, Frankreich: 95 min
Regie: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud
Drehbuch: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud

Inhalt

Marjane ist neun Jahre alt, als der Schah aus dem Iran vertrieben wird. Es herrscht Jubelstimmung im Land, auch Marjis bürgerlich-intellektuelle Familie atmet erleichtert auf. Doch die Hoffnungen auf eine moderne Republik schlagen schnell ins Gegenteil um: Mit der Islamischen Revolution gelangen religiöse Fanatiker an die Macht, die sich als noch schlimmer erweisen als ihre Vorgänger. Plötzlich muss Marjane in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen und erlebt hilflos mit, wie ihr kommunistischer Onkel den Säuberungsaktionen des neuen Regimes zum Opfer fällt. Als Krieg zwischen dem Iran und seinem Nachbarn Irak ausbricht, und das Leben in der Hauptstadt Teheran immer gefährlicher wird, entschließen sich Marjanes Eltern, ihre einzige Tochter nach Wien zu schicken. Dort, fern der Heimat, soll sie in Sicherheit und Freiheit studieren. Aber auch diese Freiheit fordert ihren Preis...

Rezension

Vor sieben Jahren erschien im französischen Verlag L'Associatio "Persepolis", Marjane Satrapis autobiographischer Comic, der von den Rezensenten schnell mit Art Spiegelmans preisgekröntem Werk "Maus" in Verbindung gebracht wurde. In vier Bänden hatte die iranische Zeichnerin Bemerkenswertes geleistet: Stets aus der Sicht ihres jungen Alter Ego erzählend brachte sie die eigenen Kindheits- und Jugenderlebnisse zu Papier und schaffte es gleichzeitig, trotz einer durchaus traurigen und bisweilen bissig gesellschaftskritischen Grundthematik niemals den humoristischen Unterton zu verlieren.

Nun wurde also auch diese Geschichte auf die große Leinwand gebracht. Soviel vorweg: Die Übertragung der expressionistischen Schwarzweißbilder des Comics, die gerade in ihrer kindhaften Schlichtheit so eindrucksvoll wirken und Absurdität und Grausamkeit eines religiösen Regimes mit kindlicher Logik zu entlarven wissen, ist rundum gelungen. Verwundern muss das nicht: Schließlich hat sich Satrapi ihr eigenes Werk nicht aus der Hand nehmen lassen, sondern selbst - in Zusammenarbeit mit dem französischen Comic-Künstler Vincent Paronnaud - Regie und Drehbuch übernommen. Erfrischenderweise wurde vollständig auf computergenerierte Animationen oder Spezialeffekte verzichtet: Persepolis ist einer der ganz wenigen Zeichentrickfilme, bei denen die einzelnen Bilder tatsächlich noch von Hand gezeichnet wurden.

Dass bei der Umsetzung eines 350 Seiten starken Werkes nicht alle Episoden 1:1 übernommen werden können und einiges, vor allem aus dem abschließenden vierten Band, gerafft werden musste, stört keineswegs. Niemals wird der Film, auch nicht für ein Publikum, das die Buchvorlage nicht kennt, verwirrend oder gar unverständlich. Auch in bewegten Bildern führt uns Satrapi einen Iran vor Augen, in dem das öffentliche Leben größtenteils Schein und Tarnung ist und sich die wahre Persönlichkeit nur im Privaten entfalten kann. Dass selbst dies nur unter beachtlichen Gefahren für Leib und Leben möglich ist, daran werden die Zuschauer stetig erinnert. Immer wieder kippt die Stimmung: Haben wir uns gerade zurückgelehnt und mit oder auch einmal über die sympathischen Figuren auf der Leinwand gelacht, heulen plötzlich Alarmsirenen auf, bedrohliche Religionswächter betreten die Bühne, lieb gewonnene Protagonisten sterben. Tod, Krieg und Verfolgung werden zu einem alltäglichen Begleiter, den Marjanes Kommilitonen an der Wiener Uni nicht verstehen können.

"Persepolis" allerdings nur als Anklage gegen die Brutalität und Grausamkeit der iranischen Machthaber zu lesen, wäre eine fälschliche Verkürzung. Auch der "Westen" - hier in Form der österreichischen Hauptstadt Wien - verliert schnell den Charakter eines Paradieses auf Erden. Zwar besitzt die pubertierende Marjane dort die Freiheit, zu sagen und zu tun, was sie möchte, doch bezahlt sie diese mit einem teuren Preis: dem Verlust ihrer Heimat. Als Iranerin in Wien bleibt sie eine Kuriosität aus einem fremden Land, die von den Einheimischen stets mit Misstrauen und Argwohn beäugt wird. Gerade in diesen Momenten des Films darf sich so mancher Zuschauer ertappt fühlen. Iran, ist das nicht auch für uns nur eine Ansammlung religiöser Fanatiker, ein Teil der "Achse der Bösen", der offene Vernichtungsdrohungen gegen Israel ausspricht? Satrapi rückt dieses Bild wieder zurecht: Sie zeigt ein Volk, das unter einer diktatorischen Regierung zu leiden hat, aber ansonsten ebenso liebt, trinkt, lacht und weint wie jeder andere Mensch auf der Erde auch. Vor allem aber zeigt Marjane Satrapis Film die unglaubliche Sehnsucht danach, irgendwann in ferner Zukunft nicht mehr zwischen Freiheit oder Heimat entscheiden zu müssen.

erschienen auf: Café Babel, 30. November 2007.