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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

F O T O G R A F

HINTER DEN KULISSEN

Dieser Artikel ist Teil des Orient-Express-Reporter-Projekts von Café Babel. 34 junge Journalisten und Fotografen aus ganz Europa wurden "on the ground" losgeschickt, um den Balkan und die Türkei unter die Lupe zu nehmen.

Herausgekommen ist eine Serie von acht Reportagen in acht Städten, welche die Visionen und Hoffnungen der Jugend jenseits der europäischen Grenzen widerspiegelt.

Mit mir zusammen in Istanbul waren Nabeelah Shabbir, Maria Teresa Sette, Nicolas Datiche und Carole Viaene, allesamt engagierte und wahnsinnig nette Journalisten.

Sobald ihre Artikel im Dossier veröffentlicht sind, werde ich sie verlinken und kann nur empfehlen, einen Blick herein zu werfen.

Nicolas Datiche - Écologie à Istanbul : la mise au vert

Vielen Dank gilt auch dem cafebabel.com Localteam in Istanbul.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 CAFE BABEL

 

Abduls Schatten auf dem Asphalt

©Jens Wiesner

Comickünstler in der Türkei: Zeichnen gegen Erdogan

Jedem Türken sind aktuelle Satire- und Humormagazine wie Leman, Penguen oder Uykusuz ein Begriff. Der Regierung unter Premierminister Erdogan sind sie ein Dorn im Auge. Doch trotz schwieriger Bedingungen und Repressionen, schwingen sie im Namen der Gesellschaftskritik die Zeichenfeder.

Eine schwarze Tür, irgendwo im Istanbuler Szeneviertel Beyoğlu. Kein Logo an der Wand, kein Hinweis, dass sich hinter diesen Mauern eines der bekanntesten Humormagazine der Türkei befindet. Mein Begleiter weiß es besser: „It’s here, Penguen!“ ruft der junge Mann, den ich gerade beim Mittag kennengelernt habe, und klopft an. Einmal. Zweimal. Dreimal. Einen Moment lang passiert gar nichts, dann springt die Tür summend auf. Ein Wachmann blickt mich fragend und ein wenig skeptisch an. Hinter ihm: Überwachungsbildschirme, gleich eine ganze Reihe davon. So habe ich mir den Eingang zu einem Comicmagazin nun wirklich nicht vorgestellt. Während ich noch versuche, den Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken, schiebt sich ein Mittzwanziger vorbei, händigt dem Uniformierten eine ID-Karte aus und verschwindet auf der Treppe nach oben. Folgen darf ich ihm nicht. Stattdessen gibt man mir eine Email-Adresse mit der Bitte, mein Anliegen genauer zu erklären und einen Termin zu vereinbaren. Sicherheitsbedenken? Oder doch nur Verständigungsschwierigkeiten? Ich zucke mit den Schultern, bedanke mich und gehe. Hinter mir fällt die schwarze Tür krachend zurück ins Schloss.

"Vor zwei Monaten hat jemand versucht, die Penguen-Redaktion anzuzünden", erklärt Emre Yavuz einen Tag später, man sei deswegen wohl ein wenig nervös. An einen Unfall glaubt der Mittdreißiger nicht, wie niemand in der Szene. Yavuz ist Lektor des Wochenblatts Uykusuz (übersetzt: „schlaflos“) und hat unter anderem die Peanuts, Walking Dead, Jason Lutes' Berlin-Reihe und Thor ins Türkische übersetzt. "Wir nennen Uykusuz zwar Humorzeitschrift, aber eigentlich sind wir ein Comicmagazin“, so Yavuz. Und tatsächlich: Bei vielen Geschichten im Blatt handelt es sich nicht um einzelne Bildwitze, sondern um fortlaufende Serien: Was nicht heißt, dass Uykusuz die politische Kontroverse scheut. Äußerst zynisch kommentiert schon das Titelblatt der aktuellen Ausgabe (Nr. 254) die Flutkatastrophe im Norden des Landes: „Wenigstens starben sie in schönen Gebäuden“, sagt ein gezeichneter Erdogan, während hinter ihm Häuser und Autos in den Fluten versinken.

Abduls Schatten auf dem Asphalt

©Jens Wiesner

Wenn Sultane die Nase rümpfen

Besonders stolz ist Yavuz aber darauf, die alten Meister neu verlegt zu haben: "Ich war so aufgeregt, als ich zum ersten Mal Bülent Arabacioglu und Galip Tekin getroffen habe. Ihre Geschichten habe ich schon als sechsjähriger Junge in Gırgırverschlungen - und jetzt bringe ich sie als Bücher heraus!" Doch nicht alle Türken teilen seine Begeisterung: Und so verzichtet auch Uykusuz auf prominente Eigenwerbung vor der Haustür. Einzig das markante Logo im Flur verrät die Tätigkeit der 22 Hauszeichner. Vorsichtsmaßname gegen Menschen, die ihre Kritik nicht nur mit Worten äußern.

Dabei hätten seine Mitstreiter allen Grund, ihren Stolz nach außen zu tragen - schließlich blickt die gezeichnete Staatskritik auf eine lange Tradition in der Türkei zurück. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert gab das umfangreiche Riechorgan des letzten Sultans Abdülhamid II. Anlass zu spöttischen Zeichnungen. Dem osmanischen Herrscher missfielen die Nasenwitze seiner Untertanen so sehr, dass er kurzerhand verbot, das Wort „Nase“ schriftlich zu verwenden. Was die Karikaturisten umso mehr anstachelte. Doch ihre goldene Ära sollten sie erst rund 70 Jahre später erleben: Das Cartoon-Magazin Gırgır (übersetzt: „Spaß“) von Oğuz Aral verkaufte in den 70er und 80er Jahren bis zu 500.000 Exemplare pro Woche. Und Aral war ein fleißiger Lehrer: Ganze Heerscharen von Comic-Enthusiasten nahm der Großmeister unter seine Fittiche. Doch irgendwann wurden Arals Kinder flügge und gründeten ihre eigenen Hefte. Deren Namen - Leman, Penguen, Uykusuz - sind heute praktisch jedem Türken geläufig. Und auch, wenn die Inhalte bisweilen umstritten sind – kaum ein Kioskbesitzer würde darauf verzichten, sie im Programm zu führen.

Die Zeiten ändern sich - nicht zum Besseren

Aber Gırgır war auch deshalb so erfolgreich, weil das Magazin in einer Zeit, in der sämtliche politische Parteien verboten waren, ein Ventil für Regierungs- und Gesellschaftskritik lieferte. Jedenfalls ließ die Militärregierung, die ansonsten mit harter Hand gegen Oppositionelle vorging, die Zeichner (größtenteils) gewähren. "Die haben doch auch Gırgır gelesen und darüber gelacht", sagt Cenk Könül, Mitarbeiter von Gon, einer der wenigen Comic-Läden in Istanbul.

Doch diese Zeiten sind längst vorbei: "Seit der Machtübernahme der AKP hat sich etwas geändert. Wir können es nicht nur sehen und hören. Wir können es fühlen", beschreibt der 30-jährige Könül die Bauchschmerzen, die nicht nur Comiczeichner in Beyoğlu derzeit mit sich herumtragen. Egal ob Religiöse, Kemalisten, Konservative, Linke oder Demokraten - wo früher Toleranz gegenüber den Andersdenkenden geherrscht habe, nehme heute die Tendenz zu, sich mit allen Mitteln voneinander abzugrenzen. Das haben Könül auch ältere Kunden bestätigt: "Die sagen, dass die Stimmung heute anders sei als in den 80ern. Und dass die Künstler damals mutiger geschrieben, mutiger gezeichnet haben.“

Humorloser Kater Erdoğan

Eines ist klar: In Sachen Humorlosigkeit kann es Recep Tayyip Erdoğan durchaus mit dem alten Sultan Abdülhamid II. aufnehmen: Bereits 2005 hatte der Ministerpräsident den Karikaturisten Musa Kart von der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet verklagt. Der hatte Erdoğan als Katze gezeichnet, die sich hilflos in einem Wollknäuel verheddert – Kommentar auf die Fallstricke der Regierungspolitik. Der Ministerpräsident sah sich verunglimpft, ging vor Gericht – und gewann! Kart musste 5000 türkische Lira (etwa: 2300 Euro) zahlen. Doch die Cartoonisten schlugen zurück: Penguen hievte gleich einen ganzen Erdoğan -Zoo auf den Titel, das Satiremagazin Leman antwortete mit einem Cover voller Erdoğan -Gemüse. Und wieder hagelte es Vorladungen. Doch diesmal entschieden die Gerichte zugunsten der Zeichner.

Die Zeitschrift Harakiri, jüngster Eintrag in den Analen der Cartoon- und Satiremagazine, hätte eine Geldstrafe dagegen fast in den Ruin getrieben. 150.000 Türkische Lira (etwa 70.000 Euro) mussten die Macher im Sommer 2011 zahlen, weil ihre Zeichnungen angeblich „das türkische Volk zu Faulheit und Abenteuertum verführen“ und „Ehebruch fördern“. So sah es zumindest die „Kommission für den Schutz von Minderjährigen vor unzüchtigen Veröffentlichungen” und empfahl, die Magazine – wenn überhaupt – nur noch in blickdichten Schutzhüllen an die Kioske zu bringen. Für Cenk Könül eine maßlose Übertreibung: „Die meinten, die Zeitschrift ist gegen unsere Kultur. Unmöglich!“ Die Harakiri-Redaktion machte trotzdem weiter – auch unter den erschwerten finanziellen Bedingungen. Ein ganzes Jahr sollte vergehen, bis im Juli 2012 eine neue Ausgabe veröffentlicht wurde. Könül hat sie ganz nach vorne in die Auslage gepackt. In der rechten oberen Ecke prangt ein kurzer, kämpferischer Schriftzug: „Poşetten döndük! - Ohne Schutzhülle!“ „Die haben wieder Leute nackt gezeichnet“, sagt Könül und lässt mit seinem breiten Grinsen keinen Zweifel daran, auf wessen Seite er steht.

Abduls Schatten auf dem Asphalt

©Jens Wiesner

"Gott beschützt kleine Kinder und Comic-Zeichner!"

Tuncay Akgün kennt diese zermürbenden Kämpfe vor Gericht. Die Uhr schlägt elf Uhr nachts, als der 50-Jährige schweißgebadet in den Leman-Redaktionsräumen aufschlägt. 1987 wurde Akgün als Chef des Vorgängermagazins Limon (übersetzt: „Zitrone“) zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Und auch von der aktuellen Regierung wurde der Chefredakteur des Nachfolgeblatts Leman schon verklagt: Zweimal musste das Magazin blechen, einmal wurde das Verfahren eingestellt. Dem steigenden Druck nachgeben will Akgün aber nicht: „Wir werden genauso weitermachen wie bisher und gesellschaftliche Probleme in unseren Zeichnungen verarbeiten.“ Darunter:  die so genannten „Ehrenmorde“, das Verhältnis zu Kurden, die unsägliche häusliche Gewalt gegen Frauen. Diese Unabhängigkeit hat ihren Preis: Um weiter über die ganz heißen Eisen sprechen zu können, verzichtet Akgün auf Anzeigen und legt – wie heute – schon einmal eine sonntägliche Nachtschicht ein. Akgüns Arbeitsort allerdings – und das unterscheidet ihn von vielen anderen Magazinen – liegt alles andere als versteckt: Gut sichtbar nahe der Haupteinkaufsstraße  und für jedermann zugänglich befindet sich unter den Redaktionsräumen das Cafe Leman Kültür.

Zwischen diesen Wänden – über und über tapeziert mit Comicstrips und alten Leman-Ausgaben – sind sie willkommen, die Comicfreunde, die Querdenker, die Linksaktivisten und Erdoğan-Kritiker. Hier können sie gemeinsam diskutieren oder einfach nur in Ruhe in ihren neuesten Ausgaben schmökern. Aber was, wenn auch hier einmal ein Verrückter vorbeischaut, ein Feuerzeug oder was auch immer in der Hand? „Ach“, sagt Tuncay Akgün und dreht sich eine Zigarette, „Weißt du nicht? Gott beschützt kleine Kinder und Comic-Zeichner.“

Literatur

Wer sich intensiver mit der Geschichte der türkischen Karikaturen beschäftigen möchte, sei das zweisprachige Buch "Die Nase des Sultans - Karikaturen aus der Türkei" von Sabine Küper-Büsch und Nigar Rona empfohlen, das begleitend zu einer gleichnamigen Ausstellung 2008 erschienen ist.

Dieser Artikel ist etwas gekürzt als Teil der cafebabel.com Reportagereihe Orient Express Reporter II am 22. August 2012 erschienen.