Tintenklexx-Logo


J E N S     W I E S N E R
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

F R E I E R     J O U R N A L I S T  & 

F O T O G R A F

BEHIND THE SCENES

Im Sommer 2008 bekam ich die Gelegenheit, über ein staatliches Stipendium drei Monate an der National Chengchi University in Taipeh zu verbringen und dort Chinesisch zu lernen.

Für die Münstersche Zeitung habe ich damals wöchentlich Tagebuch über die kleinen und großen Merkwürdigkeiten geschrieben. Vor kurzem habe ich die Texte auf meiner Festplatte wieder gefunden, ein wenig aufpoliert und werde sie jetzt peu a peu auf meiner Homepage veröffentlichen. Viel Spaß!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 TAIWAN REVISITED

 

©Jens Wiesner

Taipei Times {Folge I} Ankunft im Land des Betons

Prokrastination für Profis: Weil zuhause die Magisterarbeit wartete, bin ich lieber für drei Monate nach Taiwan geflogen, um dort Chinesisch zu lernen. Reiseberichte aus einem Land, in dem bleich sexy ist und die Verstorbenen auf einen Kontrollbesuch bei der Verwandtschaft vorbei schauen.

Flughäfen haben die beruhigende Angewohnheit, überall auf der Welt gleich auszusehen. Es gibt dieselben kleinen Bars, in denen überteuerter Kaffee ausgeschenkt wird, dieselben Geschäftsmänner in schwarzen Anzügen, dieselben englischen Schilder, die die Reisenden sicher durch die Korridore lotsen. Der Flughafen ist eine gesichtslose Zwischenwelt zwischen Abflugort und Reiseziel, ein Punkt, um einmal tief Luft zu holen, bis man endlich den Schritt nach draußen, den Schritt ins Unbekannte wagt.

In den kommenden drei Monaten wird diese Wirklichkeit für mich Taiwan heißen. Dass ich mich gerade zehntausend Kilometer Luftlinie entfernt von meinem Studentenleben in Münster befinde, hat einen einfachen Grund: Ein Stipendium, mit dem ich jetzt drei an der National Chengchi University in Taiwans Hauptstadt Chinesisch studieren darf, lässt sich bei bestem Willen nicht ausschlagen, Magisterarbeit hin oder her. Und dann war da noch diese bohrende Neugierde, einmal über den europäischen Tellerrand hinauszuschauen und einen Kulturkreis zu erleben, mit dem ich noch nie zuvor in Berührung gekommen bin.

Und doch sitze ich jetzt schon seit zwei Stunden im Flughafencafé, nur zehn Meter von eben dieser Erfahrung entfernt, blättere zum fünften Mal durch meinen Reiseführer und gehe in Gedanken eben jene Route durch, die mich erst zum Hauptbahnhof Taipehs und schließlich zur südwestlich gelegenen Uni bringen wird. Dort draußen werde ich mich nicht verständigen können, nicht einmal mehr Straßenschilder oder Busansagen verstehen.

Doch für kalte Füße ist es zu spät. Also stürze ich den letzten Schluck lauwarmen Kaffees herunter, atme tief durch und trete durch die milchverglaste Ausgangspforte nach draußen. Wild gestikulierend und mit einer kleinen Zeichnung in der Hand mache ich dem Busfahrer mein Reiseziel klar. Er nickt wortlos, rupft die Taiwan-Dollars aus meinen Fingern und verstaut den Reisekoffer im Gepäckfach. Der Bus fährt an, ich lehne mich zurück und betrachte aus dem Fenster graue Betonbauten, die in loser Folge an mir vorüberziehen. Das kann ja heiter werden.


Größere Kartenansicht