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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T  & 

P H O T O G R A F

Ein Landei zieht in die Stadt. Und findet, dass das Leben unter Millionen von Menschen genauso merkwürdig ist wie in seinem alten Kuhdorf.

Teil 1: Auf gute Nachbarschaft!

Teil 2: Der schönste Platz ist immer an der Theke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 GLOSSE: ALS DIE KUH LILA WURDE - TEIL 1

 

Wilson aus 'Hör mal.. wer da hämmert' hinter Gartenzaun

Bild: ©Comedy Central

Auf gute Nachbarschaft!

Der Autor lernt, dass man seine Nachbarn in der Stadt ruhig ignorieren darf

Das Verhältnis zum Nachbarn ist essentiell im Dorfleben. Ein guter Nachbar gießt die Pflanzen, passt auf etwaige Hunde/Katzen/Kinder auf und bringt dann und wann ein leckeres Stück Topfkuchen vorbei. Wer es sich dagegen mit seinen Nebenwohnern verscherzt, nimmt einen Stellungskrieg in Kauf, gegen den der Russlandfeldzug wie ein Kinderspielplatz erscheint.

Eine Woche nach dem Einzug in meine neue WG stand also fest, dass Erstkontaktmaßnahmen längst überfällig waren. Doch gerade, als ich voller Elan in den Hausflur stürmte, pfiffen mich meine Mitbewohner zurück. Kopfschüttelnd deuteten beide auf die Flasche Doppelkorn in meiner linken und die Kurzengläser in meiner rechten Hand. Ein höflicher Mensch, erklärte ich den Sozialbanausen, stellt sich selbstverständlich vor, wenn er neu in eine Wohnung zieht. Persönlich und nicht ohne einen hochprozentigen Begrüßungsschluck im Gepäck zu haben. Man möchte ja nicht geizig erscheinen. So war es in unsererm Dorf, so ist es noch heute und so wird es immer sein.

Mitleidig schüttelten die beiden ihre Köpfe und blickten mich ernst an. Ich müsse nun ganz stark sein: In der Stadt, behaupteten sie, gebe es keine alkoholischen Fraternisierungsrituale mit den Nachbarn. Überhaupt sollten alle persönlichen Kontakte auf unvermeidliche Zufallstreffen im Hausflur beschränkt werden. Wo man sich dann über das Wetter unterhielte. Möglichst kurz. Phhfff, dachte ich, herzloses Stadtvolk, hielt eine flammende Eloge auf den Wert der nachbarschaftlichen Freundschaft und beschloss, die feucht-fröhliche Vorstellungsrunde auf das mitbewohnerlose Wochenende zu verschieben.

In der Nacht sind alle Nachbarn laut
Am selben Abend hörte ich zum ersten Mal die Geräusche. Es begann harmlos, ein leises Quietschen zuerst, gefolgt von vereinzeltem Pochen, dessen Frequenz sich stetig erhöhte. Als schließlich eine schnaubende und eine quiekende Stimme zur Geräuschkulisse hinzutraten, dämmerte es mir. Ich kam zwar vom Dorf, aber was dort, nur wenige Meter über mir geschah, verstand ich genau.

Zwei Tage darauf sprach mich ein junges, gutaussehendes Mädchen im Hausflur an. Ich sei sicher der Neue, sagte sie. Sie und ihr Freund lebten in der Wohnung direkt über mir. Und: Ob ich nicht mal zum Kaffee vorbeikommen wolle? Ich senkte den Blick, murmelte ein halbherziges "Müssen wir mal machen" und verabschiedete mich schnell in Richtung Haustür. Den Doppelkorn habe ich dann am Wochenende geleert - allein.