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 KUNST & KULTUR

 

black robed silouette with cross on forehead

Engel vom Stern, 1939 Kleisterfarbe/Bleistift auf Papier auf Karton ©Zentrum Paul Klee, Bern

Klees Engel in Hamburg: Zwischen Himmel und Hölle

Die plakative Frömmigkeit und der Gehorsamszwang der Kirchen waren Paul Klee zeitlebens ein Greuel. Trotzdem schuf der Maler über 80 Zeichnungen, Gemälde und Aquarelle von - Engeln. Karin Schick von der Hamburger Kunsthalle erklärt, was dahinter steckt.

Die Engel sind Karin Schick zugeflogen. Einfach so. Trunkene Flügelwesen, vom Gefühl der Liebe überwältigt. Gefallene Engel, mehr Dämonen denn Himmelsboten. Altkluge, vergessliche, zweifelnde Gestalten. Ein wahrlich illustrer Haufen ist es, den die Kuratorin in den vergangenen Monaten zu bändigen hatte - das Erbe ihres Vorgängers an der Hamburger Kunsthalle.

Wenige Tage vor Ausstellungsbeginn sitzt Karin Schick im lichtdurchfluteten Café der Kunsthalle und nippt an ihrem Kaffee. Paul Klees Engel sind jetzt auch ihre Kinder - adoptiert zwar, aber geliebt wie die eigenen."Ich freue mich darauf, endlich die Originale erleben zu können", sagt die studierte Kunstgeschichtlerin. Ihre Augen leuchten, während sie durch den Katalog zur Ausstellung blättert und bei einem besonders farbenprächtigen Flügelwesen stoppt. "Engel, noch tastend" von 1939. Blondes Haar, rote Lippen, blaues Gewand. Pechschwarzer Rauch umhüllt die Gestalt, die mit ausgestreckten Armen voran durch das Dunkel stolpert. Den richtigen Weg sieht sie nicht, kann nur ahnen und hoffen.

"Als Mensch muss man sich nicht minderwertig fühlen, wenn man sich mit Klees Engeln befasst", fasst Schick die Anziehungskraft der geflügelten Gesellen zusammen. Den prunkvollen Putten, den der Welt entrückten Gotteswesen stellte Klee eine neue Form des Engels gegenüber: ein Flügelwesen mit menschlichen Schwächen, mit einem Bein im Himmel stehend, mit dem anderen auf der Erde – oder in der Hölle. 

"Die Blätter fielen nur so herunter"

Bald schon werden Klees Engel über die Autobahn donnern, rund 80 Zeichnungen, Gemälde und Aquarelle, gewissenhaft verpackt für die anstrengende und nicht ungefährliche Reise. Denn Engel sind zarte, zerbrechliche Wesen, erst recht solche, die mit wenigen schnellen Bleistiftstrichen oder Kleisterfarbe den Weg ins Leben fanden. "Zum Schrecken der Restauratoren hat Klee oft nur auf einem dünnen Blatt Papier gearbeitetgearbeitet und mit den unterschiedlichsten Malmaterialien experimentiert", erklärt Schick. Daran liegt es auch, dass sein bekanntester Engel, der "Angelus novus", nur als Faksimile zu sehen sein wird. Zu leichtsinnig wäre es gewesen, die fragile Ölpause-Zeichnung aus Israel zu verschiffen. Aber komplett fehlen durfte der "neue Engel" natürlich nicht. Schließlich diente er dem Philosophen Walter Benjamin einst als Muse, wurde im 20. Jahrhundert gar zu einer Ikone der Linken.

In Paul Klees umfassenden Gesamtwerk machen die Engelsmotive nur einen winzigen Teil aus - allerdings einen, der im Leben des in der Schweiz gebürtigen Deutschen immer wieder aufflackerte. Die meisten Engel, rund 60, schuf Klee in seinen letzten Lebensjahren zwischen 1939 und 1940. Oft dauerte es nur wenige Minuten, bis ein neuer Engel fertig war. Klee habe gezeichnet, dass "die Blätter nur so herunter fielen", beschrieb Lily Klee den Schaffensprozess ihres Mannes einmal.

Protestant gegen die Amtskirche(n)

Zu jener Zeit war der Maler bereits unheilbar erkrankt - und spürte wohl schon, dass sein irdisches Dasein ein baldiges Ende finden sollte. Als Zeichen dafür, dass sich Klee im Angesicht des Todes mit der Amtskirche versöhnte, sind diese späten Werke aber nicht zu deuten: Wie seine frühen Engelsfiguren lassen auch sie einen feinen Spott erkennen, der sich gegen plakative Frömmigkeit und Gehorsamszwang der Institution Kirche richtet. Ein Protestant im Wortsinne war Klee also schon – freilich ganz anders, als es sich ein Luther gewünscht hätte. Deutlich zutage tritt dieser Protest im Zusammenspiel zwischen Bild und Text. Erst nachdem eine gewisse Zeit verstrichen war, nahm sich Klee seine Zeichnungen ein zweites Mal vor, zog eine Linie darunter und grübelte über einen passenden Titel. "Wer beim 'vergesslichen Engel' von 1939 nur auf die bildliche Darstellung achtet, sieht ein verinnerlichtes, vielleicht ins Gebet vertieftes Wesen", so Schick. "Erst durch den Titel wird der Eindruck der Spiritualität verdreht, erhält diesen ironischen Twist."

Für diesen feinsinnigen Humor schätzt die Kuratorin ihren Klee. "Wissen Sie, was er auf der Rückseite eines seiner handgeschriebenen Werkkataloge notiert hat?" fragt Karin Schick zum Abschied, die leeren Kaffeetassen zusammen räumend. "'Dort [bei den Engeln] ist alles wie bei uns, nur englisch.' Großartig, oder?"

Die Ausstellung "Paul Klee. Engel" ist vom 26. April bis zum 7. Juli in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Umrahmt werden Klees Bilder von zahlreichen Engelsdarstellungen aus der Sammlung des Museums vom Mittelalter bis heute. In einem speziellen Raum können Besucher zudem ihre eigenen Vorstellungen der Himmelsboten zu Papier bringen.

Der Text ist am 26.04.2013 auf katholisch.de erschienen.