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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

F O T O G R A F

HINTER DEN KULISSEN

Hätte ich mir Heinos altes Liedgut eine Sekunde länger durch den Kopf gehen lassen, ich hätte es merken können. Blaublaublau blüht der Enzian und nicht etwa edelweiß, wie jenes Blümelein, das zunächst in meiner Überschrift prangte. Aber Heino, der alte Schlaumeier, hat selbst an verschusselte Journalisten gedacht:

Neben einem Lied über den Enzian hat er auch eins über's Edelweiß im Programm: " Edelweiß auf hohem Berge stehn, doch im Tal die Edeltraut ist tausendmal so schön."

Und schon passte es wieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 STERN.DE

 

©Jens Wíesner

Neues Heino-Album: Wenn der Enzian verdorrt

Gegen die Sonne half Heino bislang eine Brille, doch jetzt scheint sie ihm auch noch aus den Händen. Für sein neues Album hat sich der Schlagerbarde bei Rammstein und den Ärzten bedient.

Natürlich ist es ein PR-Coup. Natürlich ist der Skandal nicht wirklich einer. Aber, heidewitzka, was für ein Spaß. Ausgerechnet Heino, der Godfather of Volkslied, der Mann, dessen Haselnuss die Omi so gern in Dauerschleife hört, covert auf seiner neuesten Platte Pop- und Punksongs. Schwarze Sonne statt schwarzer Barbara. Totenkopf-Fingerring statt Enzian im Knopfloch. Was war da nur geschehen? Eine verlorene Wette mit Florian Silbereisen? Hatte die Sonne von Mexiko zu stark auf des Barden Haupt gebrannt?

Als "persönliche Hommage an die deutsche Rock- und Popmusik" bezeichnet der Troubadour der Bundesrepublik sein Album selbst - und kokettiert einmal mehr mit seinem Image als Urgestein der Volksmusik. Ist Heino jetzt also böse geworden? Oder zumindest ein bisschen evil, wie die Ärzte sagen würden? Um Erlaubnis fragen musste der 74-Jährige jedenfalls nicht für seine Interpretationen. So lange nicht wesentlich in Text und Harmonien herumgepfuscht wird, ist ein Cover in dieser Form in Deutschland erlaubt.

Aber, ganz abgesehen von der rechtlichen Lage, vergreift sich hier nicht ein Mann an den Klassikern einer ganzen Generation? An Liedern, die kraft- und protestvoll angetreten sind, all die seichten Melodaien der Nachkriegsgeneration niederzubrüllen? Doch wenn sich schon die Toten Hosen (als Rote Rosen) an Weihnachtsliedern vergreifen und die Punk-Allstar-Band Me First and the Gimme Gimmes Stevie Wonders Schmalzballade "I Just Called to Say I Love You" ins Mikro rotzt, warum sollte es andersherum verboten sein? Punk per se als höhere Musikform zu edeln, einer Interpretation im Schlagermantel nicht würdig, ist hochnäsig und einer echten Punk-Attitüde ("Scheiß drauf!") unwürdig.

Wieviel Schmalz verträgt der Punkrock?

Warum also allerorts dieser Aufschrei, ob positiv, ob negativ, nur weil Heino ein paar poppige Punk- und Rocksongs mit seinem unnachahmlichen Rrrrrr veredelt? Weil uns die Galionsfigur des bürgerlichen Spießertums mit seinen Coversongs am eigenen, ach so anti-mainstreamigen Musikgeschmack zweifeln lässt: Ist das, was mittlerweile als Punk und Rock verkauft wird, eigentlich noch "the real thing"? Oder haben es sich unsere geliebten Protestbands von damals längst im Establishment bequem gemacht, nutzen Ironie als Ausrede, um ganz im Schlagersinne wieder über das große Gefühl singen zu können?

"Und am Ende der Straße steht ein Haus am See. / Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg. / Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön. / Alle komm'n vorbei, ich brauch nie rauszugehen." Sang Peter Fox. Und die Sportfreunde Stiller: "Wenn man so will, bist du meine Chillout-Area / meine Feiertage in jedem Jahr / meine Süßwarenabteilung im Supermarkt." Man tausche Chillout-Area gegen Schifferschaukel - und voilá: Die Texte der Endlich-singen-wir-wieder-Deutsch-Post-Wir-sind-Helden-Generation sind längst näher dran am Enzian als an Claudias Schäferhund.

Es brauchte nur noch Heinos Lippen, um den Schlager im Herzen unserer Lieblingslieder offenzulegen. Der alte Volksmusiker hat uns gewieft ausgetrickst: Nicht Heino hat sich verändert, sondern wir. Wir haben es nur noch nicht gemerkt.

Eine Vorgängerversion des Artikels können Sie hier auf stern.de lesen.