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JENS     WIESNER
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Unicum.de am 31.10.2012 als Teil der November-Titelgeschichte "Mythos-Uni-Sex"

 ZUM THEMA

Björn Stephan: Erst in die Uni, dann ins Bordell (Der Tagesspiegel)

Claudia Picker: Prostitution fürs Studium (RuhrNachrichten)

Christine Kensche: "Ich unterdrückte den Würgereiz und bekam 80 Euro" (Die Welt)

Helen Pidd: Sexarbeit fürs Studium (Der Freitag/The Guardian)

Courtisane: Studentenprostitution (Blog)

Eugénie Bott: Sex ist eine Arbeit wie jede andere (Zeit Online)

Till Haase: Sex fürs Studium - Gespräch mit der Studentin Mavis (DRadio Audio)

Im Gespräch mit Sonia Rossi (literaturkritik.tv)

Jacopo Franchi: Juliette Binoche in "Das bessere Leben" - Studentin zu verkaufen (Café Babel)

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 UNILEBEN

Kondom mit aufgeklebtem Gesicht

©Jens Wiesner

PROSTITUTION IM STUDIUM: "DAS WAR MEINE FREIE ENTSCHEIDUNG!"

Sonia Rossi hat während ihres Studiums als Prostituierte gearbeitet und darüber ein Buch geschrieben. Im Interview erinnert sich die Wahlberlinerin an die Finanznot von damals und ärgert sich über Menschen, die Sexarbeiterinnen in eine Opferrolle drängen.

Prostitution als Uni-Nebenjob. Schon seit geraumer Zeit geistert dieses Thema durch Deutschlands Medienwelt – und kocht insbesondere dann gerne hoch, wenn eine neue Statistik oder ein neues Buch veröffentlicht wurde. Ob es sich bei den Fällen um Einzelphänomene oder einen zunehmenden Trend handelt, konnte noch keine Studie abschließend feststellen. Sicher ist aber, dass eine Berliner Studentin 2008 zu den ersten gehörte, die der deutschen Öffentlichkeit unter dem Pseudonym Sonia Rossi einen Einblick in ihre Arbeit gewährten. Die Reaktionen auf ihre Autobiographie "Fucking Berlin" reichten damals von Zuspruch über Mitgefühl bis hin zu Vorwürfen, ein Fake zu sein, der mit einem sensationellen Thema nur Kohle scheffeln wolle.

Eines ist schon mal klar: Die Frau, mit der ich mich an einem verregneten Berliner Herbsttag im Café treffe, ist real. Und weil wir keine Film- und Fotoaufnahmen machen, fehlen schwarze Perücke und Sonnenbrille, mit denen Rossi normalerweise in der Öffentlichkeit auftritt. Stattdessen ziert ein kleines Bäuchlein die 29-Jährige. Ein Nachkömmling ist unterwegs, Nummer zwei. Während wir Kaffee und Tee bestellen, berichtet mir Rossi, dass sie ihr Studium mittlerweile erfolgreich abgeschlossen hat und fest in einem IT-Unternehmen arbeitet. Gerade allerdings ist Babypause angesagt, Rossi nutzt die Zeit, um über einem neuen Buch, ihrem mittlerweile dritten, zu brüten.

Sonia, während meiner Recherchen hat mir der Pressesprecher des Deutschen Studentenwerks folgenden Satz gesagt: "Niemand muss sich in Deutschland prostituieren, um studieren zu können." Was sagst du dazu?
Je nachdem, was er mit 'studieren können' meint. Wenn man jetzt nur in einer Einzimmerwohnung lebt, ohne Möbel, nur Toastscheiben mit Margarine isst und mit kaputten Schuhen rumläuft, nie ausgeht am Wochenende und nur zerrissene Klamotten von der Caritas trägt, dann muss man das wirklich nicht. Aber bei mir gab es ja auch eine besondere Situation: Ich bin aus dem Ausland zum Studieren nach Deutschland gekommen, hatte keinen Anspruch auf BAföG und habe noch die ganze Zeit meinen Freund mitfinanziert. Und wenn man dann ein Minimum haben möchte... Ich rede nicht von Luxus, sondern von einem normalen Leben: Schuhe kaufen, wenn man welche braucht; die Wohnung ordentlich heizen; mit Freunden ausgehen. Wenn man dann wirklich keine Hilfe hat, ist das schon ein Weg. Aber klar, gezwungen wird man nicht.

Wie sah deine finanzielle Situation aus, als du nach Berlin gekommen bist?
Am Anfang war einfach kein Geld da. Du weißt, dass du zur Vorlesung gehen musst, aber  fragst dich gleichzeitig, wie du die 350 Euro Miete für den nächsten Monat zusammen kriegst und das Geld für die Krankenversicherung.  Knapp 70 Euro waren das damals, da würde ich jetzt drüber lachen, aber als Student ist das sehr viel Geld. Und wenn du in der Mensa isst, zahlst du auch drei, vier Euro am Tag. Und man kann ja auch nicht den ganzen Monat nur Nudeln essen... Von zuhause war ich das einfach nicht gewohnt. Meine Eltern sind auf keinen Fall reich, aber um Schuhe oder Kleidung hab ich mir nie Gedanken machen müssen. Für die Schule wurde alles gekauft, Telefon gab's und der Kühlschrank war voll - und plötzlich hast du nix. Viele Erstsemester können zumindest Schränke, Tische und Stühle aus ihrem Kinderzimmer mitnehmen, aber ich konnte meine Sachen ja nicht aus Italien rüber tragen.

Warum hast du kein BAföG bekommen?
Dazu braucht man die deutsche Staatsbürgerschaft. Oder du musst in Deutschland  aufgewachsen sein, deine Eltern müssen schon 30 Jahre lang leben oder so... Aber wenn du extra zum Studieren herkommst, hast du keinen Anspruch. Und Erasmus nur für ein Jahr wollte ich nicht machen. Was jetzt geht, aber erst kam, als ich schon fast am Ende meines Studiums war, ist dieser KFW-Förderkredit. Aber das hätte ich eh nicht gemacht. Da stehst du dann mit 20.000 Euro Schulden nach dem Studium da. Und was ist, wenn du keinen Job bekommst? BAföG-Schulden sind anders, du hast mehr Karenzzeit, weniger Zinsen.

Ist diese Finanznot also nur ein Problem, das ausländische Studierende betrifft?
Naja, ich kenne auch deutsche Studenten, die kein BAföG kriegen oder fast nichts, weil die Eltern zuviel verdienen, dann aber sagen "Ich geb dir nix!". Dann müsste man die erst verklagen. Und Schulden werden nicht angerechnet. Eine Freundin von mir hat sehr wenig bekommen, 50 Euro, weil ihre Mutter angeblich so viel verdient, aber die hatte viele Schulden und musste jeden Monat eine große Summe abdrücken. Und selbst, wenn man BAföG und Kindergeld bekommt, bleibt nicht viel übrig – gerade aktuell mit den steigenden Wohnraumpreisen.

Würdest du denn sagen, dass dich die Geldnot 'in die Prostitution gezwungen' hat?
Nein, das war meine freie Entscheidung. Ich finde es auch nervig, wenn Sexarbeiterinnen immer als Opfer dargestellt werden. Es gibt sicherlich Leute, die mit Gewalt dazu gezwungen werden, aber das sind in Deutschland nicht die meisten. Ich hätte auch woanders arbeiten können, es ist halt auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Ich gebe zwar viel von mir und vielleicht ist es seelisch anstrengender als bei Rossmann zu arbeiten, aber ich habe auch Geld und kann mir mehr leisten. Das ist dann sicher keine leichte, aber eine freiwillige Entscheidung. Aber als Pflegerin im Krankenhaus oder als Psychologin hat man  auch eine seelische Belastung. Es gibt einfach Jobs, die heikel sind.

Waren denn viele deiner Kolleginnen Studenten?
Das war eine Mischung: ein paar Azubis; einige Studenten; Frauen, die noch nicht wussten, was sie mit ihrem Leben machen sollten; viele alleinerziehende Mütter.

Hast du auch mit männlichen Studenten zusammen gearbeitet?
Nein. Die Szene ist ziemlich getrennt von den Frauen. Es gibt sicher Stricher und Läden für Leute, die auf Transsexuelle stehen, aber hier in Deutschland machen Männer, die im Sexbereich arbeiten, das eher ausschließlich für Männer. Ein paar meiner Freunde haben auch als Stricher gearbeitet und das war für die wohl noch schwieriger.  Ich kannte einen Türken, der sagte immer: „Ich mach das nur nachts, damit niemand aus meiner Familie das sieht.“ Frauen, die zahlen einfach nicht für Sex. Sicherlich gibt es einige Callboys, aber diese Vorstellung vom Escortservice für betuchte Damen halte ich für einen Mythos. Die fliegen gleich nach Jamaika und Kenia, um sich da den „Schokoboy“* zu holen, aber machen nicht so eine 300-Euro-Komm-wir-gehen-ne-Stunde-aufs-Zimmer-Nummer.

[edit: *Zu diesem Begriff beachtet bitte die unten stehende Diskussion in den Kommentarspalten, d. Autor, 12.11.2012, 17:15 Uhr]

Ist Prostitution auch deswegen eine reizvolle Verdienstmöglichkeit, weil man schnell und ohne große Wartezeit an eine größere Summe Geld kommen kann?
Sicher – vor allem um Schulden zu bezahlen und sich große Anschaffungen zu leisten, wenn z.B. die Waschmaschine kaputt geht oder du einen Computer brauchst. Ich weiß noch, ich hab' mir von einer dieser Reisen* einen Laptop gekauft. Der hat damals rund 700 Euro gekostet. Als Student hast du so viel Geld auf einmal einfach nicht. (*Sonia Rossi hat mehrfach außerhalb Berlins in so genannten Laufhäusern gearbeitet. Im Gegensatz zur Straßenprostitution mieten sich Prostituierte dort für einen bestimmten Zeitraum ein Zimmer an; die Freier können sich frei durch die Gänge bewegen.)

Was erwiderst du Leuten, die sagen, Sex gegen Geld anzubieten, ist unter der Würde einer Frau?
Ich finde, Würde ist immer so ein großes Wort. Ich biete eine Dienstleistung an wie eine Haareschneiden oder Pediküre. Das hat mit Würde nichts zu tun. Anders wäre es, wenn das unter Gewalt passieren würde, oder ich nicht bezahlt würde. Da gibt's nichts Unwürdiges dran - solange die Frauen das wollen. Die eine arbeitet nun mal lieber bei McDonalds und die andere sagt sich, nö, ich mach lieber Sex und biete das an. Ist ja auch gut, dass es nicht jede macht, sonst würde sich es nicht mehr lohnen. (lacht) Aber für fünf Euro die Stunde bei McDonalds zu arbeiten, das ist für mich fast unwürdiger als die Arbeit als Prostituierte.

In deinem Buch schreibst du, dass du nur einer einzigen Person an der Uni erzählt hast, dass du als Prostituierte arbeitet. Warum hast du dich nicht mehr Leuten anvertraut?
Ich hatte Angst, dass meine Studienkollegen mich nicht mehr ernst nehmen, dass ich nur noch die „Dirne aus dem Puff“ sein würde. An der Uni hatte  ich die meisten Kurse mit den Mathematikern. In diesen männerlastigen Disziplinen sind die Leute nicht die offensten - und wenn du eine Frau bist und dazu Ausländerin, ist es schon extrem schwierig, Kontakte zu knüpfen.

Und heute? 
Enge Freunde von mir wissen das, da macht es keinen Unterschied, aber bei Leuten, die mich eher oberflächlich kennen und auf der Arbeit würde ich immer denken, dass die hinter meinem Rücken über mich tuscheln. In unserem Freundeskreis sind jetzt  viele Schriftsteller, Schauspieler, Journalisten... In dem Bereich geht’s auch nicht keusch zu - und ob du schwul bist oder Orgien feierst, dafür interessiert sich kein Mensch. In technischen und sozialpädagogischen Berufen ist das anders...

Sonia, du bist nicht mehr als Sexarbeiterin tätig. Gibt es trotzdem etwas, was du dir für die Branche wünschst?
Es wäre schon toller, wenn die Gesellschaft dem gegenüber offener wäre. Ich finde, dass die Moralvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert einfach weg müssen. Wir bewegen uns in den letzten 30, 40 Jahren in die richtige Richtung. Außerdem zeigt sich immer wieder, dass dort, wo krasse moralische Vorstellungen herrschen, die Leute heimlich viel mehr und viel schmutzigere Sachen machen...