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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

P H O T O G R A F

INFOSCHNIPSEL

Filesharing:
Meint das Herunterladen und gleichzeitige Bereitstellen einer Musikdatei über ein Tauschbörsen- programm. Vorsicht: Man muss keine eigenen Dateien freischalten, um zu tauschen. Schon während man sich eine Single oder ein Album herunterlädt, werden Teile dieser Datei automatisch mit dem Rest des Netzwerks geteilt.

Abmahnung:
Juristischer Begriff, meint eigentlich: "Ich tu's nie wieder." Der Filesharer soll sich schriftlich verpflichten, die betreffenden Stücke in Zukunft nicht mehr in einer Tauschbörse anzubieten. Das Problem: Abmahnungen sind oft verbunden mit hohen Schadenersatz- forderungen und Anwaltskosten. Und die sind mit dem Versprechen nicht vom Tisch.

IP-Adresse:
Stellt euch die IP-Adresse wie die Hausnummer eures Computers vor. Ohne sie könnt ihr Datenpakete nicht von eurem Computer an die richtige Stelle ins Internet schicken. Welche Person hinter der IP-Adresse steckt, weiß nur euer Internet-Anbieter (T-Com, Hansenet, Arcor). Unter bestimmten Umständen kann der allerdings dazu gezwungen werden, diese Daten herauszugeben.

258 Millionen Musikstücke sollen laut "Brennerstudie" des Bundesverbands Musikindustrie im Jahr 2009 illegal heruntergeladen worden sein, die meisten von ihnen von jungen Männern zwischen 20 und 39 Jahren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 YAEZ

 

Mila mit Comicsprechblase in Schweineform

Bild: ©Jens Wiesner

Um Kopf und Kragen geladen

Auch wer sich nur ab und an einen Song aus dem Netz lädt, macht sich strafbar. Das musste Moritz* am eigenen Leib erfahren.

"Warst du das etwa?" Die Stimme von Vater Behrens donnert durch Moritz' Zimmer. Irgendetwas Schlimmes muss passiert sein. Und dieses Etwas hat eindeutig mit Moritz zu tun. Tatsächlich - Sekunden später liegt ein dicker Papierstapel vor der Nase des 15-Jährigen. Post von der Anwaltskanzlei Rasch. 1200 Euro sollen seine Eltern zahlen. Weil er sich ein Lied von Katy Perry aus dem Netz geladen hat. Vom Internetanschluss der Familie. Illegal.

Vuze, BitTorrent, eMule, KaZaA, Napster. Programme, über die Musikstücke im Internet getauscht werden, boomen seit zehn Jahren. Ob nun die aktuelle Single von Katy Perry, das neueste Abenteuer der "Drei Fragezeichen" oder die komplette Discographie der Beatles  - praktisch jeder Song, der im Handel erhältlich ist,  kann auch gratis heruntergeladen werden. Nur einen kleinen Haken hat die Sache: Wer für seinen Download nicht zahlt, sondern tauscht, macht sich strafbar.

Dass Filesharing nicht ganz legal sein kann, wusste Moritz natürlich. Große Gedanken über Rechteverletzungen und Copyright hat er sich trotzdem nicht gemacht. Schließlich standen die Chancen erwischt zu werden, lange Zeit extrem schlecht. Klar - Moritz kannte die Gruselgeschichten von plötzlichen Hausdurchsuchungen. Aber er wusste auch, dass sich die Polizei nur um die ganz großen Fische kümmerte.

"Das hat sich jetzt geändert", weiß Alexander Wachs. Als Anwalt für Medienrecht in Hamburg hat er beinahe täglich mit Filesharing-Fällen zu tun. Anwaltskanzleien wie Waldorf oder Rasch haben längst das große Geschäft mit der Abmahnung illegaler Downloads gewittert. Seit ungefähr zwei Jahren  schicken sie massenweise Schadenersatzforderungen in deutsche Haushalte, verbunden mit auffällig hohen Anwaltskosten. Das Besondere: Auch Menschen, die nur wenige Musiktitel aus einer Tauschbörse laden, geraten nun ins Visier.

Technisch gesehen ist das Ganze ein lockerer Routinejob: Im Auftrag der Musikindustrie engagieren Abmahnanwälte Spezialfirmen, die sich in die Tauschbörsen einklinken und dabei die IP-Adressen der anderen Nutzer auslesen. Über ein Gerichtsverfahren werden die Internet-Provider dann dazu gezwungen, Namen und Adressen zu den IP-Adressen herauszugeben. So fragwürdig wie sich diese Methode auch anhört, sie ist legal.

Nehmen ist seliger denn Geben

Die Bezeichnung "illegale Download" ist irreführend. Denn eigentlich wird nicht das Herunterladen einer Datei bestraft, sondern ihr Upload, also das Bereitstellen des Musikstücks für andere. Warum, erklärt Wachs an einem Beispiel: "Wenn ich eine Single von Robbie Williams im Laden klaue, geht es um zwölf Euro. Lade ich aber den Song hoch, ist das in etwa so als würde ich 50.000 gebrannte Rohlinge vor einem Robbie-Williams-Konzert verschenken." So erklärt sich auch die horrende Summe auf Moritz' Rechnung: 1200 Euro für ein einziges Lied, 120 Mal so viel, wie er im Laden bezahlt hätte.

Angesichts dieser Summe gesteht Moritz sofort. Schließlich hatte er nicht nur ein einziges Lied heruntergeladen, sondern sich bereits seit Jahren Musik, Filme und Computerspiele aus dem Netz gezogen. Was also, wenn auf den einen Brief noch viele weitere folgen - und die Strafe immer höher und höher wird? Moritz' Eltern entschließen sich, einen eigenen Anwalt einzuschalten.

Ruhe bewahren, nicht voreilig bezahlen, nichts unterschreiben und fachliche Beratung suchen - in Alexander Wachs' Augen hat Familie Behrens genau richtig gehandelt. Er kennt andere Fälle: Jugendliche, die aus Angst, ihre Familien ruiniert zu haben, mit Selbstmord drohen. Und Eltern, die angesichts der kurzen Zahlungsfristen panisch zum Telefonhörer greifen, alles gestehen und bei der Gegenseite auf Verständnis hoffen. "Eine menschliche Reaktion, aber juristisch äußerst ungeschickt" so der Hamburger Anwalt. Denn Abmahnanwälte wollen mit ihren Schreiben vor allem eins: mit möglichst wenig Einsatz möglichst viel Geld verdienen - ein volles Geständnis und unhinterfragte Zahlungen spielen ihnen dabei in die Hände. So ist es oft Wachs' erste Aufgabe, seine aufgebrachten Anrufer zu beruhigen, auch angesichts der zu erwartenden Strafe. "Wenn für ein Lied 1200 Euro gefordert werden, kosten 100 Lieder nicht automatisch eine Million."

Moritz hat Glück. Die Abmahnanwälte schicken keine weiteren Forderungen. Die 1200 Euro werden seine Eltern trotzdem voll bezahlen müssen. Und Moritz blecht mit: Für drei Monate wird sein Taschengeld gestrichen. Von den Filesharing-Angeboten will das gebrannte Kind nun die Finger lassen - auf Bezahldienste pfeift er aber weiterhin. "Ganz ehrlich: Ich würde nie im Leben etwas für Geld runterladen, was ich zwei Mausklicks weiter gratis kriege." Einzig eine bezahlbare monatliche Flatrate würde ihn noch reizen. "Dann müsste der Dienst aber schon ein Megaangebot bieten!"

Alexander Wachs sieht die Sache ein wenig anders: "Natürlich finde es unverschämt, dass die Leute so abgezockt werden." Gleichzeitig kann er auch die Seite der Künstler verstehen. "In der Szene heißt es immer häufiger: 'Hilft du mir beim Video? Ich helf dir beim Gig.' Das ist zwar ganz romantisch, hilft aber nicht weiter, wenn die Miete bezahlt werden muss…" Zudem gebe es mit dem Mitschneiden von Radioprogrammen aus dem Internet längst eine gute Gratis-Alternative zum illegalen Download. Wachs: "Wir haben das mal versucht - und hatten die Deutschen Top 100 in anderthalb Tagen zusammen - in guter Qualität und legal."

Moritz wird trotzdem weiter saugen. Mit neuen Methoden, besser geschützt vor den Suchprogrammen der Anwälte. Der Kampf der Musikindustrie gegen die Filesharer ist noch nicht geschlagen - er geht nur in die nächste Runde.

*Name geändert

Erschienen in: YAEZ, Februar 2011